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Borderline

Das Glück liegt im Erinnern

Im Seniorenkreis Nieder-Saulheim lassen die Besucher den Alltag hinter sich

Das Glück im Alter liegt nicht mehr im Lottogewinn. Statt der materiellen Dinge rücken die kleinen Freuden des Alltags in den Vordergrund. "Mach' die ein paar schöne Stunden und vergiss' dein Alter", ermuntert Pfarrerin Dr. Gerlinde Stadler die Senioren ihrer Gemeinde. Alle zwei Wochen lädt sie ins Dietrich Bonhoeffer-Haus ein. Abwechslung ins zweistündige Programm bringt sie mit Referenten wie Dr. Marianne Baun und ihrer musikalischen Lesung.

Es ist der treue Kreis, der sich an diesem sonnigen Donnerstagnachmittag zu der Lesung "Wege zum Glück" einfindet. "Die älteste ist 93, die anderen auch nicht viel darunter", beschreibt Pfarrerin Stadler ihren Seniorentreff. Sie hofft, dass Referenten wie Marianne Baun neue Besucher anziehen. Denn sie möchte noch mehr Menschen für diese kleine Freude im Alltag gewinnen. "Man ist in Saulheim ein wenig angebunden, wenn man alt ist." Lange habe man sich nicht einmal mehr beim Einkaufen treffen können. "Hier freuen sich alle zusammenzukommen, gemeinsam zu singen, etwas zu erleben und Kaffee zu trinken."

Es wird ganz still, als Marianne Baun ihre Texte vorträgt. Es sind Aphorismen auf das Glück und das Leben, über Träume, die Zeit, Glaube und Dankbarkeit. "Ich allein entscheide, ob ich glücklich werde. Ich muss es nur zulassen", verkündet die Autorin aus Kirchheimbolanden. Dann trifft sie mit einem Satz das, was für viele den Seniorentreff ausmacht: "Träumen von vergangenen Zeiten und gemeinsamen Erfahrungen, von Heilung und Lebensfreude, von Hoffnung auf ein Wiedersehen." Als sie ihre Geschichte über das Fliegen vorträgt, begleitet sie ein mehrfaches "Wunderbar". Klaus Hantschel, einer der wenigen Männer in der Runde, kann es kaum fassen, dass Marianne Baun die Autorin dieser Zeilen ist. "Man findet sich in vielem wieder", bestätigen die Frauen das Lob auf die Texte. "Man kann etwas mitnehmen." Einzelne Worte öffnen Türen zur Kindheit. Etwa der Verweis auf den Eintrag des Vaters im Poesiealbum. So manche hat noch das Buch aus ihrer Kindheit, ja selbst das der Mutter. Margret Zorn regt an, bei einem der nächsten Treffen die Bücher mitzubringen und sich darüber auszutauschen.

Neben den Worten ist es vor allem die Musik, in der an diesem Nachmittag alle ihr Glück finden. "Mein ganzes Leben war und ist Musik", bekennt die Kirchenmusikerin Marianne Baun. Am Klavier begleitet sie die Lieder, die alle begeistert mitsingen. Und sie nicken, als Katharina Tratschitt zum Abschluss sagt: "Der Gesang hat uns sehr erfreut." Seit 70 Jahren schon ist sie Mitglied der Frauenhilfe, aus der der Seniorenkreis hervorgegangen ist. Wie sie kennen auch die anderen die Lieder aus der Jugend. "Wir haben sie schon als Kind gelernt, in der Sonntagsschule bei den Schwerstern."

Beim Singen merken wir, dass wir noch etwas können, bestätigt Pfarrerin Gerlinde Stadler. Ähnlich geht es beim Quiz, das sie gerne an anderen Nachmittagen einschiebt. Der Seniorenkreis, das bedeutet für Frauen und Männer ein Gefühl von Gemeinschaft. Wir machen auch nette Scherze und Spiele. Das vertreibt uns den Alltag." Wenn jemand krank ist, wird eine Karte geschrieben. Und wer Geburtstag hat, wie Klaus Hantschel, der beim nächsten Treffen seinen 85. feiert, darf sich ein Lied wünschen. Nicht zuletzt ist es eine christliche Gemeinschaft, die spürbar werden lässt, wie der Glaube im Alter trägt. "Und dass die Menschen auch im Alter ein Recht haben auf ihre eigene Meinung und auf ihre Lieder."

(RHEIN MAIN PRESSE Kreis Alzey vom 24. September 2005)

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